Indien hat sich in den letzten Jahrzehnten zu einer der am schnellsten wachsenden Volkswirtschaften der Welt entwickelt. Mit seiner jungen Bevölkerung, der zunehmenden Urbanisierung und Digitalisierung bietet das Land weiterhin wirtschaftliche Wachstumsmöglichkeiten. So ist der indische Aktienmarkt seit 2003 von einem Prozent der globalen Aktienmarktkapitalisierung auf eine Gewichtung von vier Prozent angestiegen. Damit ist er nach den USA, China (Festland), Japan und Hongkong der fünftgrößte Aktien-markt mit einer Marktkapitalisierung von 4,4 Billionen US-Dollar.
Gemäß dem BIP dürfte Indien bereits 2025 mit 4,19 Billionen US-Dollar die viertgrößte Volks-wirtschaft noch vor Japan werden und 2028 auch Deutschland einholen (2003 lag Indien noch auf Platz 8). Die Wachstumserwartungen für das reale BIP Indiens liegen für das Fiskaljahr 2025 bei 6,5 %, während das globale BIP-Wachstum laut Schätzungen der Weltbank bei 2,3 % liegen dürfte. Pro Kopf entspricht dies einem BIP von lediglich 2.700 US-Dollar im Jahr 2024 (in China sind es 13.300 US-Dollar). In den 1970er Jahren waren der Agrar- (39 %) und der Dienstleistungssektor (34 %) noch nahezu gleichauf. Heute dominiert der Dienstleistungsbereich mit 55 % am BIP, während die Industrie 28 % und die Landwirtschaft nur noch 18 % beisteuern. Dies macht Indien weniger anfällig für protektionistische Eingriffe und Zollkonflikte, da Dienstleis-tungen bislang weitgehend zollfrei bleiben.
Im heimischen Aktienindex (MSCI India) ist der Finanzsektor mit rund 30 % am stärksten ge-wichtet, gefolgt von zyklischen Konsumgütern (13 %), Informationstechnologie (10 %), Industrie (9 %) und Energie (9 %). Führende Banken und IT-Dienstleister stehen stellvertretend für die Dominanz der Dienstleistungsbranche. Unternehmen, die einen stärkeren Fokus auf die Binnenwirtschaft haben, dürften zudem weiterhin von einer wachsenden Mittelschicht und dem damit einhergehenden Konsum profitieren. Dies betrifft die Bereiche Telekom, Einzelhandel und E-Commerce, Kraftstoffe sowie Plastik. Wesentliche Treiber sind hier neben dem wach-senden Kraftstoffverbrauch der landesweite Ausbau der Mobilfunk- und Internetinfrastruktur sowie die zunehmende Formalisierung des Einzelhandels. Der Ausbau der Infrastruktur ermöglicht zudem auch die Schaffung neuer Geschäftsmodelle, beispielsweise in den Bereichen E-Commerce, FinTech und Logistik.
Reformen stärken Geldpolitik und Inflationsteuerung
Bis 2015 fehlte der indischen Geldpolitik ein klarer, nominaler Anker. Dies führte regelmäßig zu einer Inflation von über sechs Prozent. Ein Hauptproblem war, dass es keinen definierten Orientierungspunkt zur Steuerung der Inflationserwartungen gab (vor 2011 existierte zudem kein kombinierter Inflationsindex). Mit der Einführung des flexiblen Inflationsziels schuf die RBI (Indische Zentralbank) im Jahr 2015 eine Toleranzspanne von +/-2,0 % um vier Prozent. Dadurch kann die Inflationsrate in diesem Korridor schwanken, ohne dass eine Änderung der Politik erforderlich ist. Durch diese Neuerung wurde ein klarer Anker gesetzt, der die Geldpolitik berechenbarer und transparenter machte und somit die Inflationserwartungen besser steuerte. Dadurch stabilisierte sich die Inflation innerhalb einer engeren Spanne von durchschnittlich drei bis sechs Prozent – ausgenommen sind die Jahre 2020 (Pandemie) und 2022 (Ukraine-Krieg). Die verankerten Inflationserwartungen führten zu einer niedrigeren Inflationsvolatilität. Allerdings sind 46 % der Inflation in Indien auf Nahrungsmittel zurückzuführen. Für einen signifikanten Teil der Düngemittel importiert Indien fossile Brennstoffe, insbesondere Gas aus Russland. Sollte der Gaspreis merklich ansteigen, würde das den Druck auf die indische Zentralbank erhöhen, auch wenn sie darauf keinen direkten Einfluss nehmen kann. Seit Oktober 2024 sank die Inflationsrate jedoch kontinuierlich von 6,2 % auf 2,8 % im Mai 2025, woraufhin die Zentralbank im Juni ihren Leitzins um 50 Basispunkte auf 5,50 % senkte (insgesamt 100 Basispunkte seit Februar). Gleichzeitig wurde die Prognose für das reale BIP Wachstum bei 6,5 % belassen, während die Inflationsprognose auf 3,7 % gesenkt wurde.
Solide Staatsfinanzen und stabile Währung
Seit der Unabhängigkeit im Jahr 1947 hatte Indien keinen Zahlungsausfall. Die großen Ratingagenturen stufen den indischen Staat derzeit in Lokalwährung mit einem Rating von BBB-/Baa3 ein. Zehnjährige indische Staatsanleihen rentieren aktuell mit 6,27 %, zweijährige mit 5,77 %. Ziel der Regierung dürfte es sein, dieses Rating weiter zu verbessern. Die externe Verschuldung Indiens lag 2023 bei lediglich 19 %, während die Fremdwährungsreserven mit 690 Milliarden US-Dollar einen neuen Höchststand erreichten und somit 96 % der externen Schuldenlast decken. Die Regierung strebt an, die derzeitige Staatsverschuldung von etwa 83 % des BIP in den kommenden Jahren auf ein Niveau von rund 70 % zu senken. Die durchschnittliche Laufzeit der Staatsverschuldung liegt bei 12,5 Jahren. Infolgedessen ist der Renditeaufschlag gegenüber US-Staatsanleihen seit 2011 von sechs auf nur noch zwei Prozent gesunken, was den Aktienmarkt unterstützt. Entsprechend zeigt sich die indische Rupie im internationalen Vergleich wenig volatil und wertete gegenüber dem US-Dollar stets nur moderat ab. Dies stellt einen wesentlichen Vorteil gegenüber anderen Schwellenländern dar. Gegenüber dem Dollar verlor die Rupie in den vergangenen zehn Jahren jährlich etwa zwei Prozent an Wert. Der Zugang zum indischen Aktienmarkt ist für ausländische Investoren streng reguliert. Die meisten Anleger entscheiden sich daher für Fonds, ETFs oder Hinterlegungsscheine (ADRs/GDRs) als Alternative zu Einzelaktien. Aktuell stehen deutschen Investoren lediglich 13 liquide ADRs/GDRs und acht ETFs, die unterschiedliche Marktbreiten abdecken, zur Verfügung. Eine größere Marktbreite ist attraktiv, da Small- und Midcap-Aktien über Zeiträume von zwei bis 20 Jahren Largecaps übertroffen haben – auch auf risikoadjustierter Basis. Initiativen des Finanzministeriums zur Lockerung der Investitionsvorschriften könnten zu zusätzlichen Mittelzuflüssen führen.
Geldmengenwachstum und Bewertung am Aktienmarkt
Es ist stets wichtig, die Entwicklung des Wachstums der Geldmenge M2 zu betrachten. Seit dem Jahr 2000 lag das jährliche Wachstum dieser Geldmenge bei rund 12,0 %, in den vergangenen zehn Jahren bei etwa 11,0 %. Neben den USA weist derzeit nur Indien eine höhere Bewertung auf Basis des Kurs-Gewinn-Verhältnisses auf. Wichtig ist jedoch, dass der Verlauf des Aktienmarktes eng mit dem Gewinnwachstum der Unternehmen verknüpft war. Indische Unternehmen sind somit stets in die hohe Bewertung durch das entsprechende Gewinnwachs-tum hineingewachsen. Diese beiden Trends dürften auch in Zukunft den indischen Aktien-markt weiter unterstützen.
Demographischer Vorteil: Junge Bevölkerung als Wachstumstreiber
Indien hat die meisten Einwohner weltweit. Die demographische Struktur des Landes birgt da-mit erhebliche Chancen für seine Zukunft. Die Basis der Bevölkerungspyramide ist sehr breit, die Lebenserwartung liegt bei 71 Jahren und etwa 65 % der Bevölkerung sind unter 35 Jahre alt. Die Fertilitätsrate liegt bei zwei Kindern pro Frau, während das jährliche Bevölkerungswachstum seit 1950 von 2,1 % auf 0,8 % gesunken ist. Somit sind die Chancen für Unternehmen groß, da in Zukunft viele Arbeitskräfte den Markt betreten und den Grundstein für die wirtschaftliche Entwicklung und den Konsum des Landes legen werden. Diese erhöhte Nach-frage dürfte auch in Zukunft die Gewinne von Unternehmen in Sektoren wie dem Einzelhandel, der Telekommunikation und den Finanzdienstleistungen steigern.
Weitere Chancen können sich durch eine Veränderung der Erwerbstätigkeiten nach Sektoren ergeben. Derzeit arbeiten 43 % der erwerbstätigen Bevölkerung in der Landwirtschaft, die einen BIP-Anteil von 18 % hat. Eine langfristige Steigerung der Produktivität – beispielsweise durch die zunehmende Verwendung von Landmaschinen – könnte die anteiligen Haushalts-ausgaben für Lebensmittel verringern und landwirtschaftliche Arbeitskräfte in den Dienstleistungs- oder Industriesektor integrieren. Eine Steigerung der Frauenerwerbsquote (aktuell 26 %) dürfte langfristig das verfügbare Einkommen und damit das Konsumwachstum erhöhen. Bislang machen Aktien und Fonds nur rund fünf Prozent der Bruttoersparnisse aus, während der Großteil in Form von Spareinlagen gehalten wird. In den vergangenen zehn Jahren ist der Anteil von Aktien jedoch sukzessive gestiegen. Dies deutet auf ein wachsendes Bewusstsein für Kapitalmarktanlagen sowie eine zunehmende Präferenz für Rendite gegenüber Sicherheit hin. Vor dem Hintergrund der jungen Bevölkerung dürfte der Anteil von Aktien und Fonds weiter steigen und somit die Finanzindustrie weiter stärken.
Risiken bleiben trotz guter Perspektiven bestehen
Bei der Präsidentschaftswahl im Juni 2024 wurde die Unzufriedenheit über unzureichende staatliche Subventionen und Transferzahlungen an die Landbevölkerung deutlich. In Bundesstaaten wie Uttar Pradesh oder Maharashtra verlor die Regierungspartei im Vergleich zur letzten Wahl deutlich an Stimmen. Lockdowns und der Ukraine-Krieg führten in der vergangenen Amtszeit zu einer erhöhten Lebensmittelinflation, ohne dass die Transferleistungen wesentlich ausgeweitet wurden. Stattdessen setzte die Wirtschaftspolitik auf angebotsseitige Investitionen mit Fokus auf die Infrastruktur. Eine Lockerung des Fiskaldefizitziels oder eine Reduzierung dieser Investitionen zugunsten höherer Subventionen könnte jedoch das langfristige Wachs-tum gefährden. Zudem könnten fehlende Energieimporte aus Russland die Lebensmittelpreise temporär beeinflussen und die Zentralbank zu einer restriktiven Haltung veranlassen. Wieder-kehrende Spannungen mit Pakistan und andere geopolitische Konflikte – vor allem Verwerfungen am Energiemarkt – können kurzfristig die Risikoprämien von Aktien und Anleihen beeinflussen. Historisch gesehen blieben sie jedoch meist ohne langanhaltende Marktturbulenzen.
Der indische Aktienmarkt wird künftig vor allem von seiner jungen Bevölkerung, solidem Unternehmensgewinnwachstum, einem Geldmengenwachstum von über zehn Prozent, dem schrumpfenden Renditeabstand zu US-Staatsanleihen sowie geringer Inflationsvolatilität getragen. Die breite Basis der jungen Bevölkerung fördert Konsum und den Arbeitsmarkt, während Unternehmen ihre Bewertungen durch kontinuierliche Gewinnsteigerungen rechtfertigen. Die Notenbankdisziplin des vergangenen Jahrzehnts sowie die demografische Entwick-lung ebnen somit den Weg für eine ertragreiche Zukunft.